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Kinokult und Kultkinos

im Schwabing der 60er Jahre

Radio-Feature von Friedemann Beyer

https://www.br.de/radio/bayern2/kultkinos-im-schwabing-der-sechziger-jahre100.html

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Die Schwabinger Kultkinos der 1960er Jahre waren das Dorado für Cineasten und angehende Regisseure. "Arri" oder "Türkendolch" waren die Filmhochschulen jener Zeit. Actionfilme mit Eddie Constantine wurden zu legendären Happenings.

"Die Begeisterung war absolut groß. Man wollte immer dabei sein, wenn der nächste Film eines Regisseurs gezeigt wurde, den man verehrte. Und dieses Generationsaufbruchsgefühl war der Motor."
(Edgar Reitz, Regisseur)

 

"Diese Kinos waren in gewissem Sinne unser Zuhause. Es war fast so eine Art Gruppenzwang. So wie man in einem Dorf am Sonntag in die Kirche zu gehen hat und kontrolliert, dass auch ja alle da sind, so war es auch, dass man in einem dieser Kinos gewesen sein musste und dann mitredete über den neuen Truffaut. Man musste das gesehen haben! (...)
Ich schätze mal, dass es wahrscheinlich nur in Paris eine solche Dichte an Filmkunsttheatern auf einem so begrenzten Quadratkilometer gab wie in München."
((Hark Bohm, Regisseur))

 

"Occam Studio", "Türkendolch" und "Isabella"

In einer ehemaligen Schmiedewerkstatt im Hinterhof der Altschwabinger Occamstraße 30 eröffnete der Filmenthusiast Fritz Falter 1951 das "Occam Studio", eines der ersten Filmkunstkinos der jungen Bundesrepublik. Beschwingt durch den Erfolg dieses Lichtspieltheaters übernahm Fritz Falter Anfang der 60er Jahre auch noch die früheren Vorstadtkinos "Türkendolch" und "Isabella".

"Man ging durch eine Toreinfahrt, kam dann in einen kleinen, verwinkelten Innenhof, dort befand sich eine Baracke, in der das Kassenhäuschen untergebracht war und das 'Occam Studio' selber war auch ein Barackenbau in diesem Innenhof."
(Edgar Reitz, Regisseur)

"Schwabing wurde zum Dorado für Cineasten"

Filmkunstkinos wie diese setzten eine Welle in Gang, die Schwabing in den 60er Jahren zu einem Dorado für Cineasten machte. Getragen wurde diese Filmbegeisterung vor allem von einem studentischen Publikum. Aber auch von den Protagonisten des jungen deutschen Films, denen Kinos wie das "abc", "Leopold", "Filmburg" oder "Marmorhaus" filmische Universitäten waren.

Später konnten sie dort auch ihre eigenen Arbeiten vorstellen. Nicht zu vergessen das "Arri", dessen Spätvorstellungen der Eddie-Constantine-Filme unter lautstarker Beteiligung des Publikums legendär waren.


Fotos ©Heinz Gebhardt

 

"Man konnte ja zu der Zeit noch keinen Film studieren in Deutschland. Es gab keine Schule und an den Universitäten war der Film nicht gut gelitten.

Also ich weiß noch, an der Münchner Universität hieß es immer: Film ist keine eigenständige Kunstform. Es ist sozusagen nur eine mechanische Reproduktionsmaschine. Der Film, wenn er überhaupt einen künstlerischen Anspruch hat, bekommt er ihn nur durch das Spiel der Schauspieler.

Um sich selbst das Gegenteil zu beweisen, ging man mindestens einmal pro Tag in das Studio für Filmkunst in der Occamstraße."
(Edgar Reitz, Regisseur)

"Zeitzeugen der Schwabinger Kinoblüte berichten"

Friedmann Beyers Hörstück lässt diese singuläre Ära noch einmal Revue passieren, ist Kino für die Ohren: Originaltöne aus den Filmen und natürlich viel (Film-)Musik bringen den Soundtrack der Zeit zum Tönen.

Zeitzeugen kommen zu Wort, die die Schwabinger Kinoblüte erlebt und mitgestaltet haben: die Regisseure Edgar Reitz, Klaus Lemke und May Spils, dazu der Kinobetreiber Thomas Kuchenreuther, Verleiher und Journalisten, aber auch Filmfans wie der damalige Kunststudent Frank von Sicard:

"Wir hatten eine Kinophase, wo wir monatelang im Türkendolch abgetaucht sind, um, wie Junkies, Italo-Western oder Nouvelle vague zu sehen."